Pilgern wie Gott in Frankreich

Es ist der 11.11.2019 – an vielen Orten in Deutschland drehen die Narren durch und feiern den Beginn der Karnevalszeit. In Frankreich ist Feiertag, aber aus einem anderem Grund. Es ist der „Jour de l’Armistice“, am 11.November 1918 endeten die Kriegshandlungen des ersten Weltkriegs mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands. Ein geschichtsträchtiger Tag, kalt, ein bisschen Nass und nicht wirklich gemacht für die Strecke von 45km die ich mir vorgenommen hatte. Nach der Wanderung (siehe Eintrag von gestern) komme ich durchnässt, müde und völlig platt an der Unterkunft an. Nach den Gesprächen mit dem Paar wird mir klar, hier lebt der Camino. Das hatte ich bereits an der Eingangstür bemerkt (siehe Bild unten). 🌠 Ich werde aufgenommen, bekomme eine warme Dusche, ein warmes Essen, Sicherheit und Hilfe bei der Reservierung der nächsten beiden Etappenziele. Ich bekomme einen Einblick in das Leben des Ehepaares (Sie: Anwaltssekretärin, Er:Bestattungsunternehmen) und der jungen Tochter (Schule, Unterstufe). Wärme, Herzlichkeit, Wohlfühlen. Wir essen zusammen am Tisch neben dem offenen Kamin. Meine schmutzigen Stiefel stehen davor und trocknen – alle finden das normal. ❤️ Am nächsten Morgen das gleiche Spiel. Der Tisch ist gedeckt, die Mutter und Tochter bereits aus dem Haus. Der Vater wünscht mir alles Gute, einen guten Weg und einen guten Appetit, er drückt mich und geht. Ich darf in aller Ruhe essen und soll nach dem Abschließen einfach den Schlüssel verstecken. Man fühlt sich nicht fremd in diesen Momenten. Eher so als wäre ein neues Zuhause von einem Tag auf den anderen aus dem Boden gewachsen. Das Grundvertrauen und die Nächstenliebe sind förmlich greifbar. So lege ich eine Spende auf den Tisch, verstecke den Schlüssel, packe meinen Rucksack und laufe los. 🏃‍♂️💕

Hier fließt der Geist des Caminos

Die Etappe heute am 12.11. geht schnell vorbei. Es geht wie gewohnt durch viele Felder, teilweise durch Wälder und kleine Orte. Der Herbst übergibt langsam das Zepter an den Winter. ❄️🍂 Kurz überlege ich Handschuhe und Mütze auszupacken – hole aber letztlich nur einen Schokoriegel raus während ich durch verwaiste Gassen laufe. Die Straßen menschenleer – plötzlich ein Auto, der Fahrer erkennt mich als Pilger, lächelt, gibt Lichthupe und winkt. Merci! 🙋‍♂️

Die Bäume beugen sich dem Herbst.
Keine Menschenseele unterwegs.
Aber die Muschel weist den Weg!

Vielleicht liegt die Kunst des Weges in der Mischung aus Einfachheit und dem Vertrauen in die Anderen. Ich weiß vorher nicht wie mein Zuhause für den Abend aussieht, aber trotzdem steuere ich täglich auf das Ziel zu. Es wird schon gutgehen, auch ohne es vorher komplett zu planen. Fehlt das nicht oft im normalen Alltag? Muss wirklich immer alles komplett durchgetaktet sein? Ich glaube nicht. Ein bisschen mehr Einfachheit und Offenheit nehme ich mit und denke darüber auf vielen Kilometern nach. 👣

Einfachheit – auch für die Wege

So komme ich auch heute gut an, in einer warmen Unterkunft. Bekomme ein reichhaltiges warmes Essen, ein Glas Wein, ein Stück Kuchen, Kaffee. Danke! 🙏❤️ Ich wünsche euch allen einen schönen Abend, und versucht euch, wenn ihr Lust habt, die Kunst der Einfachheit ab und zu in Erinnerung zu rufen. Ein musikalischer emotionaler Gedanke dazu von einem meiner absoluten Lieblingslieder. Link

Schlaft gut und buen camino! 🏃‍♂️🌠

Gute-Nacht-Bild aus meinem Fenster!

2 Kommentare zu „Pilgern wie Gott in Frankreich

  1. Danke für die einzigartigen Eindrücke u Momente die wir mit dir erleben dürfen und Du mit uns teilst. Wir lieben u vermissen Dich! Buen Camino 🍀😘❤️, Mama u Maxi u in Erinnerung Paps, er wäre so stolz auf Dich ❤️

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